Aus der Geschäftsstelle
Zurück zur Natur
Die laufende Verdichtung der Städte und der Ruf nach mehr Wohnraum setzen die Natur unter Druck. Mit gezielten Massnahmen will die abl dem Artenreichtum rund um ihre Siedlungen mehr Raum geben.
Wo früher regelmässige Rasenschnitte für Wimbledon-Feeling sorgten, «Unkraut» eliminiert und die Natur im Zaum gehalten wurde, scheint seit geraumer Zeit alles ein bisschen anders. Manche Wiesen werden nur noch zwei-, dreimal pro Jahr geschnitten. Neu erstellte Blumeninseln dienen Bienen, Schmetterlingen und Käfern als neues Zuhause. Lindenblütenbäume, Holunder- und Haselsträucher, Felsenbirne oder Schwarzdorn liefern neue alte Geschmäcker in die Küche der Bewohnerschaft. Einheimische Mischrabatten bringen Farbe in die Aussenräume und werden, einmal verblüht, von der Natur zurückerobert. Ganz zu schweigen von Kieshaufen für Eidechsen oder Holzansammlungen für Kleinsttiere.
Was zufällig oder gar verwildert aussieht, hat Konzept. Die Genossenschafterinnen und Genossenschafter haben sich für mehr Biodiversität ausgesprochen – das Anliegen ist seit Kurzem offiziell in den Statuten verankert. Und damit dies kein Papiertiger bleibt, braucht es konkrete Massnahmen.
Blumenwiese erfordert Zeit
Das alles passiert nicht von heute auf morgen. Von der Weinberglistrasse blicken wir an diesem Frühlingsmorgen auf einen schmalen, steilen Hang voller hoher Gräser. Der Blick schweift zu den Brennnesseln am hinteren Rand. Als könnte er Gedanken lesen, führt Roland Lang, Fachbereichsleiter Gartenunterhalt, aus: «Die Brennnesseln nützen niemandem was – denken viele. Aber sie sind wunderbare Zufluchtsorte für Raupen.»
Ansonsten bietet die Wiese mit ihrer fehlenden Blütenpracht nicht viel Mehrwert für die Biodiversität. Noch nicht. Roland Lang möchte hier Obstkulturen für die Bewohnerinnen und Bewohner pflanzen. Die ungemähte Zone gebe zudem allem, was kriecht und krabbelt, die Chance, sich hier anzusiedeln. «Ist die Natur einmal da, samen sich Jahr für Jahr mehr Wildblumen ab – und irgendwann haben wir eine bunte, duftende Blumenwiese.» Dem könne man dann ja auch ein bisschen nachhelfen. Sein Credo ist aber: die Natur möglichst machen lassen. Sie weiss, wie sie sich einrichten muss, damit das Ökosystem funktioniert. «Am besten kommts, wenn sich die Pflanzen ihren Standort selbst aussuchen.»
Natur für Mensch und Tier
Wenige Meter weiter sehen wir schon ganz gut, was Roland Lang gemeint hat. Eine schmale Passage zwischen zwei Häusern beherbergt Dutzende Blütenstauden, die zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr das Auge erfreuen. Unterhalb einer kleinen Rasenfläche laden Wildblumen zum Selberpflücken ein. Was wir nicht sehen: In der Blumenwiese leben Blindschleichen, Schnecken und Kröten. Könnte er ungestört zum Wald hochlaufen, wäre das auch ein idealer Lebensraum für den Igel. Es ist dieser Mix aus unterschiedlichen Bedürfnissen von Mensch und Tier, dem die abl mit den neuen Massnahmen gerecht werden möchte.
Die Blumeninseln im Tribschenquartier (erstes Bild) freuen nicht nur Roland Lang (zweites Bild).
Wir schauen uns zum Abschluss die neuen Blumeninseln im Tribschenquartier an, die den ehemaligen Rasenstreifen auflockern. Hier wurde früher alle zwei Wochen gemäht. Mittlerweile lassen die abl-Mitarbeitenden die Wiese stehen und schneiden nur noch labyrinthartige Gehwege ins Grün. Dieses ist voller Beikräuter: Löwenzahn, Spitzwegerich und Co. machen sich breit. Die als Unkräuter herabgesetzten Pflanzen haben in der Natur durchaus ihre Berechtigung.
In den drei Inseln strecken sich im Frühjahr die Krokusse gen Sonne, dann folgen Narzissen, Margeriten, Katzenminze, Eisenkraut. «Was absamt, werden wir stehen lassen», verspricht Roland Lang. Mit etwas Glück gebe es dereinst pro Saison einen schönen, kostenlosen Blumenstrauss für alle in der Siedlung. Apropos kostenlos: Natürlich hat das naturnahe Gärtnern bei der abl auch einen positiven Effekt aufs Portemonnaie. Die Natur verlangt für ihre Arbeit bekanntlich nichts.
So steht es um die Biodiversität in der Schweiz
In der Dokumentation «Biodiversität in der Schweiz» (2023) fasst das Bundesamt für Umwelt die aktuelle Situation zur Artenvielfalt zusammen. Laut dem Bericht gelten 48 Prozent der bewerteten Lebensräume sowie 35 Prozent der in der Schweiz vorkommenden Arten als gefährdet. Besonders stark beeinträchtigt sind die Schweizer Gewässer. Verbauungen, die intensive Wassernutzung und die Verunreinigung durch die Landwirtschaft sowie Siedlungen haben negative Effekte auf Flüsse und Seen. In der Landwirtschaft sorgen Pflanzenschutzmittel und Monokulturen für eine Verminderung der Artenvielfalt. Alpen, Moore und Wälder tragen dagegen zu mehr Biodiversität bei, sind aber ebenfalls durch zahlreiche äussere Einflüsse unter Druck.
Verschiedene Massnahmen, darunter die Förderung der Natur in Siedlungsgebieten, sollen eine Trendwende bewirken und die Biodiversität erhöhen. Mancherorts ist das bereits gelungen: Kiebitze, Flussschwalben und Steinkäuze konnten sich dank gezielter Unterstützung in den vergangenen zehn Jahren erholen.