Genossenschaftskultur

«Es ist schön, wenn ich weiss, wer im Haus wohnt»

Seit einem Jahr lebt Mekdes Zewde im Obermaihof. Sie freut sich, hier mit Schweizer*innen Kontakt zu haben. Mit ihrer Freundin hat sie im Gemeinschaftsraum kürzlich für die Siedlung eritreisches Essen gekocht.

Mekdes Zewde (links) und ihre Nachbarin Jemila luden zum Kaffee ein.

Mekdes begrüsst mich in ihrer 3.5-Zimmer-Wohnung an der Maihofhalde. Ein köstlicher Duft gerösteter Kaffeebohnen liegt in der Luft. Auf dem Salontisch im Wohnzimmer fällt mein Blick auf die flache Schüssel mit Himbasha, einem eritreischen Fladenbrot, daneben arrangiert ein Blumenstrauss. Vermutlich um meinen Schweizer Geschmack zu treffen, hat Mekdes auch einen, wie sie sagt, «normalen» Cake gebacken.

Meine Vorfreude richtet sich jedoch darauf, ein Stück eritreische Kultur erleben zu dürfen. Dazu hat Mekdes ihre eritreische Freundin Jemila eingeladen, die auch in der Siedlung wohnt. Sie bereitet den Kaffee zu. «Eritreischer Kaffee heisst ‹Bun›», erklärt sie mir. «Er wird in Eritrea täglich gekocht.» Die Zubereitung ist ebenso beeindruckend wie aufwendig: grüne Kaffeebohnen rösten, dann mahlen, anschliessend in verschiedenen Gefässen mit Wasser übergiessen und mehrmals hin- und herschütten.

Der Haushalt mit drei Kindern gibt viel zu tun
Mekdes lebt mit ihren sechsjährigen Zwillingstöchtern Naomi und Heran und ihrem vierjährigen Sohn Joseph in der Maihofhalde: «Die Wohnung ist schön, sie ist neu und ruhig. Und es hat einen schönen Spielplatz für die Kinder. Es ist tipptopp», sagt sie mit Begeisterung. Sie verbringt viel Zeit zu Hause und erklärt mir, dass der Haushalt mit drei Kindern viel zu tun gibt: aufräumen, putzen, Kleider waschen, einkaufen. «Es ist mir wichtig, dass die Wohnung sauber ist.»

An der sorgfältig platzierten Einrichtung und der tadellosen Ordnung ist gut spürbar, dass sie grossen Wert darauf legt. Auch der Abend gehört der Familie. «Wir essen gemeinsam eritreisches Essen. Danach spielen die Kinder zusammen. Oder meine Tochter möchte etwas schreiben. Nur manchmal schauen wir zusammen fern.» Neben der Familienarbeit besucht Mekdes Deutschkurse und absolviert Bewerbungstrainings, denn sie möchte gerne wieder mit einem reduzierten Pensum arbeiten.

Auch mal raus aus der Wohnung
Am Wochenende geht Mekdes mit ihren Kindern gerne am Rotsee spazieren oder sie vergnügen sich auf dem Spielplatz im Obermaihof. Bei schlechtem Wetter nutzen sie auch gerne den Gemeinschaftsraum. «Jemila und ich treffen uns dort und können mit den Kindern spielen.» Mekdes ist froh über diese Möglichkeit, denn zu Hause ist sie manchmal besorgt, dass ihre Kinder zu viel Lärm machen. Von einem Nachbarn wurden sie auch schon darauf hingewiesen. «Gut, wenn er es mir sagt. Ich ermahne dann meine Kinder, ruhiger zu sein.»

Ein- bis zweimal für die Siedlung kochen
Mekdes und Jemila sind seit Jahren befreundet, tauschen sich oft aus und hüten gegenseitig die Kinder. Früher haben beide im gleichen Haus in Emmenbrücke gewohnt. «Dort hatten wir mit eritreischen Familien Kontakt, mit anderen Nationen nicht. Hier ist es ganz anders. Wir kennen Schweizer, sagen Hallo und wechseln ein paar Worte. Alle sind sehr nett.»

Besonders gefreut hat Mekdes, dass nach ihrem Einzug eine Nachbarin bei ihr klingelte und sich vorstellte. «Es ist schön, wenn ich weiss, wer im Haus wohnt, wie die Leute heissen und ich sie ansprechen kann.» Mekdes und Jemila würden deshalb allen Neuzuzüger*innen empfehlen, sich bei den Nachbar*innen vorzustellen, um diese kennenzulernen. Dank solchen Kontakten ist auch die Idee entstanden, im Gemeinschaftsraum ein eritreisches Essen für die Siedlung zu kochen. «Wir haben einen ganzen Abend und einen Tag gekocht. Etwa 40 Personen sind gekommen. So viele haben wir nicht erwartet.» Stolz fügt sie an: «Das Essen war gut. Wir waren erstaunt, dass Schweizer so viel essen. Sie haben alles aufgegessen.» Würdet ihr es wieder machen? «Ja. Vielleicht ein- bis zweimal im Jahr. Es gibt viel zu tun.»  

Inzwischen ist der Kaffee fertig zubereitet. Gemeinsam geniessen wir ihn zusammen mit Himbasha, das traditionellerweise von einem Mann geschnitten wird oder – wenn keiner anwesend ist – von der ältesten Frau.

Auf die Frage, was Mekdes und Jemila in der Schweiz erstaunt, überlegen beide einen Moment, bevor sie schmunzelnd erwähnen: «Es sind zwei Sachen: Schweizer können gut im Schnee laufen. In Eritrea gibt es keinen Schnee und wir fallen schnell um. Schnee ist lustig. Und wenn Schweizer sich treffen, wollen sie in Ruhe zusammensitzen und reden. Bei uns ist es laut, wir wollen Volksmusik hören und zusammen tanzen.»

Umgang mit Vielfalt

Dieses Porträt ist Teil des Projekts «Vielfalt in der abl». Diese Vielfalt kennt viele unterschiedliche Gesichter, Geschichten und Lebensmodelle – ganz so, wie das auch in der Schweizer Wohnbevölkerung ist. Unterschiedliche Lebensformen und Mentalitäten sind eine Tatsache, nicht nur in unseren Siedlungen. Wir gehen im magazin und an Anlässen der Frage nach, welche unterschiedlichen Menschen mit ihren individuellen Lebensgewohnheiten bei der abl wohnen und wie mit der Vielfalt in der unmittel­baren Nachbarschaft offen und wohl­wollend umgegangen werden kann.

Haben Sie eine Geschichte aus Ihrer Nachbarschaft zu erzählen? Haben Sie in Ihrer Siedlung etwas entdeckt, das Ihnen neu oder ungewohnt vorkommt? Erzählen Sie es uns! Wir freuen uns das ganze Jahr über Ihre Erfahrungen und Anregungen unter genossenschaftskultur (at) abl.ch oder 041 227 29 36.