Genossenschaftskultur

Spannende Industriegeschichten entlang der Reuss

Auf der Spreuerbrücke zeigt Hansruedi Hitz Bilder aus vergangenen Zeiten. 

Vom Mühlenplatz über die Viscosistadt bis zu den Stahlwerken im Littauerboden: Die Mai-Wanderung der abl führte die Teilnehmenden einmal quer durch das Luzerner Industriegebiet.

«Meine Wandertouren finden grundsätzlich bei jeder Witterung statt. Es sei denn, es schüttet wie aus Kübeln.» Das ist die Devise von Hansruedi Hitz. Der 62-Jährige organisiert im Wechsel mit Edith Hausmann jeden zweiten Monat Ausflüge für interessierte abl-Mitglieder. Während Ediths Bergwanderungen über Stock und Stein führen und ganztägig sind, organisiert Hansruedi halbtägige, themenspezifische Expeditionen in der Agglomeration. Nachdem vergangenen Monat der Renggpass überquert wurde (wir berichteten), stand am 19. Mai die nächste Tour durch das Industriegebiet Luzern-Littau auf dem Programm. Ausgangspunkt war – wie meistens – der Torbogen in Luzern. Auch wenn es zum Startzeitpunkt um 14 Uhr noch trocken war und sich sogar die Sonne zeigte, begann es wenig später zu regnen, oder eher: aus Kübeln zu schütten. Trotzdem ist für Hansruedi und die fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer klar: jetzt gibt’s kein Zurück mehr. Zum Glück! Was die Wandergruppe unterwegs von ihrem Guide erfährt, ist nicht nur interessant, sondern bisweilen auch echt überraschend. Oder hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass ...

... die Schindler-Erfolgsstory in der Sentimatt begann?
Schindler und Ebikon gehören zusammen wie Luzern und das KKL. Was viele nicht wissen: Gegründet wurde der Weltkonzern mitten in Luzern. 1883 bezog die durch Robert Schindler und Eduard Villiger gegründete Kollektivgesellschaft Schindler & Villiger eine 300 Quadratmeter grossen Fabrik an der Sentimattstrasse. Von dort aus lieferte Schindler 1890 den ersten hydraulischen Lastenaufzug und zwei Jahre später den ersten elektrischen Aufzug. Nachdem das Unternehmen in den folgenden Jahren immer grösser wurde, gründete es 1948 in Genua seinen ersten internationalen Standort. Erst 1957 zog die Schindler Aufzüge AG von Luzern ins neue Werk nach Ebikon um. Und die alte Fabrikhalle? Die steht noch am selben Ort. Im «CrossFit Pilatus» werden heute keine Lifte mehr produziert, sondern Gewichte gestemmt.

Vom Regen unbeirrt führte Hansruedi Hitz die Expedition u.a. zur Spreuerbrücke, dem Reussinsel-Uferweg entlang zur Viscosistadt und der Kleinen Emme mit hohem Wasserstand folgend zur Emmenweid, wo sich zum Abschluss die Sonne zeigte.

... die Reussinsel von Industrie-Pionieren gegründet wurde?
Heute ist die Reussinsel vor allem durch ihr attraktives Wohnungsangebot bekannt. Tatsächlich hat aber auch sie ihren Ursprung in der Industrie. Entstanden ist die Reussinsel 1832, als die Mechanische Werkstätte Meyer die Erlaubnis erhielt, die Sandbank unter dem St.-Karli-Gebiet zu befestigen und mit einem Kanal zu erweitern. Nach der Geburtsstunde der Reussinsel zog es zahlreiche erfolgreiche Industriebetriebe in die Gegend. Darunter die Gebrüder Von Moos, die im Südteil der Insel einen Drahtzug sowie eine Stifte- und Nagelschmiede errichteten. Weitere Unternehmen, die sich auf der Reussinsel niederliessen, waren die Diamantenschleiferei Eduard Drexler oder die Holztypenfabrik Roman Scherer. 1874 gründeten Robert Schindler und Eduard Villiger eine mechanische Werkstätte auf der Reussinsel – ehe sie neun Jahre später in die Sentimatt zogen (siehe oben).

... die Viscosuisse dereinst über 5 000 Angestellte zählte?
Die Viscose schrieb seit 1906 Industriegeschichte in Emmenbrücke. Während 50 Jahren wurden in Emmenbrücke vor allem Kunstseide und Zellwolle produziert. Später kamen hochfeste Viscose-Filamentgarne für die Reifenindustrie sowie Nylon- und Polyestergarne dazu. 1973 befand sich die Viscosuisse auf ihrem Höhepunkt: Mit 5 500 Angestellten und einem jährlichen Produktions-volumen von fast 55 000 Tonnen war sie die grösste Arbeitgeberin der Region. In den nachfolgenden Jahrzehnten gingen die Produktionszahlen stetig zurück. Heute ist die Viscosistadt als neues Kreativzentrum der Region bekannt. Auf einer Fläche so gross wie die Altstadt Luzern bietet die Viscosistadt Raum für Wohnen, Arbeiten, Bildung und Kultur. Seit Sommer 2016 ist die Hochschule Luzern – Design & Kunst in den alten Industriegebäuden an der Kleinen Emme untergebracht.Nebst den drei erwähnten Stationen machte die Wandergruppe Mitte Mai auch am Mühleplatz, bei der Reussthalmauer, am Seetalplatz sowie bei der Stahlindustrie auf der Emmenweid beim Littauerboden Halt. Und überall erzählte Hansruedi Hitz spannende Hintergrundinformationen. Dass die Expedition letztlich rund eine Stunde länger dauerte als geplant, schien die Teilnehmenden nicht zu stören – im Gegenteil: Erstens folgten sie den Ausführungen von Hansruedi mit grossem Interesse und zweitens zeigte sich just zum Ende der Wanderung noch einmal die Sonne am Himmel.

Mitwandern

Wer das monatliche Wanderangebot für abl-Mitglieder kennenlernen möchte, kann sich per E-Mail für eine Tour anmelden. Das Wanderprogramm für die zweite Jahreshälfte finden Sie hier.